Das unbekannte Gesicht
Nicht nur in den großen, bekannten Weinbauländern werden Reben gepflegt, sondern in vielen Ländern, in denen man es gar nicht erwarten würde, widmen sich Menschen der Kultivierung von Rebstöcken, begleiten hoffnungsvoll den Reifeprozess der Trauben, lesen sie und bereiten aus dem Most Wein.
England
Den meisten Menschen ist unbekannt, dass in England Wein angebaut wird, doch wahrscheinlich gelangte der Weinbau bereits mit den Römern auf die Britischen lnseln. Die Wildrebe selbst fanden sie damals bereits vor, denn diese hatte sich schon hier ausgebreitet, als England noch mit dem europäischen Festland verbunden war.
Im Mittelalter waren die Rebflächen viel größer als heute, und ihre Bedeutung sank erst, als König Heinrich ll.
Eleonore von Aquitanien heiratete, große Teile Frankreichs in der Folgezeit an die englische Krone fielen und damit der Zugang zu den besseren französischen Weinen leicht wurde. Heute stehen in England rund 1000 Hektar unter Reben, die sich auf 400 Einzellagen in Südengland und 20 in Südwales verteilen. Das Klima ist hier rau - zwar wärmt der Golfstrom die Küstenregion, aber in der Nähe des 55, Breitengrades ist Weinbau nur unter ganz besonders günstigen Voraussetzungen möglich. Die Hauptsorten sind die früh reifenden Müller-Thurgau, einige weitere deutsche Neuzüchtungen und die Hybridrebe Seyval Blanc.
Benelux
Im Mittelalter waren weite Flächen Belgiens mit Reben bestockt aber heute sind nur noch weniger als 200 Hektar übrig geblieben. Sie verteilen sich auf die Gegend im Tal der Maas an der Grenze zu den Niederlanden. lm Anbau stehen Müller-Thurgau, Auxerrois, Pinot Blanc, Pinot Noir und einige früh reifende deutsche Neuzüchtungen. Rund 2000 Hektoliter werden pro Jahr erzeugt. Wesentlich kleiner sind die niederländischen Rebflächen, die allerdings mit den gleichen Sorten bestockt sind. Der Weinbau rund um Maastricht ist bis in das frühe 14. Jahrhundert hinein nachgewiesen. Heute entstehen hier leichte, harmonische und fruchtige Weine.
In Luxemburg ist die Rebfläche sehr viel größer als in Belgien und den Niederlanden, hier stehen fast 1500 Hektar
unter Reben, und zwar ausschließlich auf dem westlichen Ufer der Mosel, also vis-ä-vis den Reben im deutschen Anbaugebiet Mosel-Saar-Ruwer, Bereiche Obermosel und Moseltor. Wie auf der gegenüberliegenden Flussseite herrschte auch hier lange der Elbling vor, der recht neutrale, säurereiche Weine hervorbringt. Mittlerweile ist er vielerorts vom Müller-Thurgau verdrängt worden, der hier Rivaner heißt. Ferner stehen Auxerrois, Riesling, Grauer und Weißer Burgunder im Anbau.
Tschechien und Slowakei
Wer an Tschechien denkt, denkt wahrscheinlich in erster Linie viel eher an Bier als an Wein, und doch standen beim Zusammenbruch der ehemaligen Tschechoslowakei rund 36.000 Hektar unter Reben, davon ca. 11.000 Hektar in der Tschechischen Republik und 25.000 Hektar in der Slowakei. Sie liegen fast ausnahmslos ganz im Süden der beiden Staaten, wo sie in Tschechien an die Rebflächen des österreichischen Weinviertels und in der Slowakei an die Weinberge des niederösterreichischen Carnuntums sowie die nordungarischen Rebflächen grenzen. Ganz im Osten grenzen die Weinberge der Slowakei direkt an das ungarische Tokajer-Gebiet. Das Klima lässt eine reiche Palettean Rebsorten gedeihen:
Neben Cabernet Sauvignon, Pinot Noir, Lemberger (Blaufränkisch, Frankovka) und St.-Laurent (Svatovavrinecke) stehen Sauvignon Blanc, Gewürztraminer, Riesling, Weißer Burgunder, Welschriesling (Rizling Vlasky), Müller-Thurgau, Silvaner und Grüner Veltliner (Veltlin Zelene) im Ertrag. Aus den roten Sorten entstehen kräftige, körperreiche Rotweine mit guten Farbwerten, aus den weißen Sorten fruchtige, sortentypische und feine Weißweine, die in Zukunft mit weiterer Verbesserung des Marketings mehr Bekanntheit erlangen dürften.
Slowenien
Die rund 21.000 Hektar Rebfläche der 1991 unabhängig gewordenen Republik verteilen sich auf drei Bereiche, die sich in ihrer weinkulturellen Ausrichtung unterscheiden. In Slowenien wird Wein vor allem rund um die Stadt Maribor im Nordosten des Landes angebaut. Etwa 1500 Hektar Rebflächen stehen auf den Hügeln um die Stadt. Eine Besonderheit ist der Weinkeller von Vinag: In einem 200 Jahre alten, 20.000 Quadratmeter großen Tunnelkeller lagern bis zu sieben Millionen Liter Wein. Hier wachsen vor allem Welschriesling, Weißer Burgunder, Chardonnay, Ruländer, Silvaner und Kerner, um nur einige der vielen kultivierten Sorten zu nennen.
Gemäß den Vorgaben aus dem Nachbarland Österreich und den traditionellen Weintypen
und Bezeichnungen in Mitteleuropa ist das Weinbaugebiet Maribor in Lagen eingeteilt, die Qualitätsweine kommen wie ihre Nachbarn als Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Eiswein und Trockenbeerenauslese auf den Markt.
Zypern
Die Insel im östlichen Mittelmeer ist uraltes Weinbauland. lm Laufe ihrer Geschichte wurde sie von Dutzenden von Fremdherrschern erobert, manchmal nur für ein paar Monate, manchmal für Jahrhunderte.
Heute konzentrieren sich die Rebflächen auf den griechischen Westen der Insel.
Sie betragen rund 25.000 Hektar, von denen ein größerer Teil auf die Produktion von Tafeltrauben entfällt. lm Anbau stehen der rote Mavro, der rund drei Viertel der Flächen besetzt, sowie die weiße Xynisteri und Muscat de Alexandria. Neben robusten Rot- und Weißweinen ist Zypern vor allem für seine aufgespriteten Likörweine berühmt, darunter der im Solera-Verfahren bereitete Zypern-Sherry sowie der schon seit Jahrhunderten bewunderte Commandaria, ein bereits seit dem 8. Jahrhundert vor Christus bekannter Wein aus Mavro- und Xynisteri-Trauben, die vor der Vergärung in der Sonne rosinenartig eingetrocknet werden.
Der Most ist so süß, dass der Gärprozess selbstständig zum Stillstand kommt, wenn ein Alkoholgehalt von 10 Volumenprozent zu Stande gekommen ist. In diesem Moment ist im Wein noch Zucker für theoretisch mindestens 12,5 Volumenprozent weiteren Alkohols enthalten. Der süße Wein wird nun auf maximal 20 Volumenprozent aufgespritet. Er ist einer der Klassiker der Weingeschichte.
Weinbau-Regionen
Weinbauregionen der Welt werden mit ihren wichtigsten Weinbauarten und Weinen vorgestellt
"Weine sind wie eine Frau - unbeständig, zurückhaltend und schwer zufriedenzustellen. Wann immer man sie öffnet, riskiert man enttäuscht zu werden, sind sie aber in Form - und das sind sie bei guter Pflege meistens - welche Wonnen!"
Weinbau auf dem Rückzug
Die bei uns bekanntesten Weine aus Nordafrika stammen aus Tunesien, das über etwa 30.000 Hektar Rebfläche verfügt. Ein Großteil der Produktion von jährlich 400.000 Hektoliter geht in den Export, der Rest steht dem Durst der unzähligen Touristen zur Verfügung. Nach französischem Vorbild werden aus Carignan und Alicante Bouschet, in geringerem Umfang auch aus Cabernet Sauvignon, Cinsaut und Mourvedre Rot- und Roseweine produziert. Daneben gibt es aber auch ordentliche Weißweine aus dem Muscat de alexandria, allerdings in geringeren Mengen. Der größte Erzeuger des Landes ist die Union des Cooperatives Viticoles de Tunisie, von dem der bekannte Chäteau Mornag stammt.
Mit der Schaffung eines staatlichen Büros (Office du Vin) zur Überwachung der
Weinproduktion im Jahre 1970 konnte die Qualität der Weine erheblich verbessert werden. Das Office du Vin schuf auch die ersten Appellationen nach französischem Vorbild wie etwa die Appellation Vin Muscat de Tunisie, ein Qualitätsiegel für Muskat-Likörweine. Auf eine etwa 2000-jährige Weinbautradition blickt der Nachbarstaat Algerien zurück. Der Einfluss der französischen Kolonialherrschaft sorgte in der Mitte des 20. Jahrhunderts für eine weite Ausdehnung der Rebflächen und eine qualitative Steigerung algerischer Weine.
Heute stehen in Algerien aber nur noch etwa 40.000 Hektar Land unter Reben, die vom Office National de Commercialisation des Produits Viticoles (ONCV) in sieben Qualitätsweinbaregionen unterteilt wurden. Recht einfache Rotweine von hohem Alkoholgehalt dominieren das algerische Weinsortiment, doch erzeugen einige Winzer auch hervorragende Tropfen aus den Rebsorten Cinsaut, Carignan und Grenache, die den Vergleich mit ihren französischen Vorbildern aus dem Languedoc kaum zu scheuen brauchen.
In Marokko stehen etwa 15.000 Hektar Land unter Reben. Hier wurde der Weinbau ebenfalls von den Franzosen vorangetrieben. Neben vielen einfachen Rotweinen gibt es aus dem Gebiet um Möknes aber auch ausgezeichnete Weine, die neuerdings vermehrt in den Export gelangen, wie der Cabernet Sauvignon/Merlot-Verschnitt L'Excellence de Bonassia der Domaine Bonassia. Ein großer Teil der Produktion wird vor allem von den vielen ins Land strömenden Touristen verkonsumiert.
Einige wenige Weine besitzen einen Appellationsstatus, der hier als Appellation d'Origine
Garantie (AOG) bezeichnet wird und ähnlich strengen Kontrollen unterliegt wie in Frankreich die AC-Weine. Sehr erfrischend sind die hellen, fruchtigen Roseweine Marokkos wie der Gris Boulaouane.
In all diesen nordafrikanischen Weinbauländern sind die größten Probleme für den Weinbau einerseits das fehlende Kapital zur Modernisierung der Kellereien sowie andererseits die auf Grund des moslemischen Glaubens der Bevölkerung sehr geringe inländische Nachfrage nach alkoholischen Getränken.